Herr Rabe, „Building Alliances“ ist der Leitgedanke dieses Geschäftsberichts; mehr Zusammenarbeit ist eine von acht Prioritäten,
die Sie für Bertelsmann gesetzt haben. Warum ist das für Bertelsmann so wichtig?
Weil sich die Welt bei Bertelsmann und um
Bertelsmann herum grundlegend verändert. Im
Unternehmen trägt heute eine Generation von
Führungskräften Verantwortung, für die Teilen und
Teamwork wichtiger sind als Ego und Ellenbogen.
Und ganz gleich in welchem Geschäft sie arbeiten,
sehen sie sich alle mit denselben großen Herausforderungen
konfrontiert: der Digitalisierung und dem
Wettbewerb mit den US-Techplattformen. Kompetenz
und Größe sind zu entscheidenden Faktoren
geworden. Das heißt für uns und unsere Geschäfte:
Alleine werden wir nicht gewinnen können. Wir
müssen interne Grenzen überwinden und zusammenarbeiten,
aber auch mit externen Partnern
kooperieren. So gewinnen wir an Größe, Relevanz
und Kompetenz im globalen Wettbewerb. Und es
ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für uns.
An welche Form von Allianzen denken Sie dabei?
Großes Potenzial für stärkere Zusammenarbeit sehe
ich in den drei Bereichen Inhalte, Werbevermarktung,
-buchung und -technologie sowie neue Technologien
und Daten. Ob Partnerschaften, Allianzen
oder Beteiligungen – welche Form Kooperation
letztlich annimmt, wird von Fall zu Fall zu entscheiden
sein. Wir wollen Verbundeffekte nutzen –
natürlich unter Wahrung der unternehmerischen
Verantwortung der beteiligten Geschäfte.
Gibt es bereits vielversprechende Beispiele für solche Allianzen?
Paradebeispiel ist die 2017 gegründete Ad Alliance
von Mediengruppe RTL Deutschland und
Gruner + Jahr. Über Jahrzehnte konkurrierten deren
Vermarkter um die Werbebudgets ein und derselben
Kunden. Heute bilden sie zusammen den größten
Werbevermarkter im Lande, dem sich immer
mehr Partner, wie zuletzt Springer, anschließen. So
erreicht die Ad Alliance fast alle Haushalte in
Deutschland. Weitere Beispiele sind die Log-in-Allianz
netID, die automatisierte Werbebuchungsplattform
d-force zusammen mit ProSiebenSat.1, Bertelsmann
Tech & Data und natürlich die Bertelsmann Content
Alliance. Für Bertelsmann ist sie ein großer Schritt –
und schon im ersten Jahr ungemein erfolgreich.
„Wir werden bestehende Allianzen festigen und ausbauen.“
Was macht die Bertelsmann Content Alliance für Sie so bedeutend?
Vor ihrer Gründung im Februar 2019 haben
Inhalteunternehmen von Bertelsmann eher ad hoc
kooperiert. Jetzt bündelt die Bertelsmann Content
Alliance die Zusammenarbeit aller deutschen
Inhaltegeschäfte des Konzerns. Sie entwickelt,
wo sinnvoll, Inhalte, Marken und Geschäfte
gemeinsam weiter und setzt eigene Themen. Sie
unterbreitet Künstlerinnen und Künstlern sowie
Kreativen ein einzigartiges Angebot, in das
Bertelsmann Jahr für Jahr allein in Deutschland
2 Mrd. Euro investiert. Wenn sich, wie in der
Bertelsmann Content Alliance, die Mediengruppe
RTL, RTL Radio Deutschland, die UFA, die Verlagsgruppe
Random House, Gruner + Jahr und BMG
zusammentun, dann ist klar: Das ist einzigartig
in Deutschland. Das merken wir schon an den
ersten erfolgreichen Projekten der Allianz wie
Audio Now oder Arctic Drift, deren Geschichten
wir in diesem Geschäftsbericht erzählen.
Warum fordern Sie mehr Zusammenarbeit im Bereich Daten und Technologie?
Weil Bertelsmann zum technologisch führenden
Medien-, Dienstleistungs- und Bildungsunternehmen
werden will. Durch die Anwendung neuer
Technologien werden wir bestehende Geschäfte
weiterentwickeln und neue aufbauen. Bertelsmann
muss alle Kräfte, Kompetenzen und Ressourcen
bündeln und hat eine Tech Agenda formuliert, die
sich auf drei technologische Schlüsselbereiche
fokussiert: Cloud, Data und Künstliche Intelligenz.
Verankerung und Umsetzung der Tech Agenda
liegen in den Händen des neu gegründeten
Bertelsmann Technology and Data Advisory Board.
Es fördert konzernübergreifend Transparenz,
Kooperation und Austausch sowie die Bündelung
von technologischem Know-how, Plattformen und
Ressourcen.
Bei Daten und Technologien kommt es stark auf Kompetenzen an.
Wie wollen Sie die sicherstellen?
Zum einen vergeben wir im Rahmen des
Udacity Technology Scholarship Program
50.000 Stipendien, um Menschen in die Lage zu
versetzen, in der digitalen Welt erfolgreich zu sein –
allen voran unsere eigenen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter. Zum anderen werben wir mit der
Bertelsmann Digitalkampagne für mehr Begeisterung
angesichts der Digitalisierung mit ihren
spannenden Veränderungen, großen Chancen und
neuen Möglichkeiten. Die Resonanz auf Kampagne
und Stipendienprogramm ist gewaltig. Während
die Digitalkampagne im Herbst medial über
30 Millionen Menschen erreicht hat, haben
sich auf die ersten 15.000 Stipendien mehr als
45.000 Interessierte aus 180 Ländern der Erde
beworben.
Wie soll es in Sachen Allianzen und Partnerschaften weitergehen?
Wir werden bestehende Allianzen festigen und
ausbauen, indem wir neue, auch externe Partner
hinzugewinnen und die Zahl der Projekte ausweiten.
Noch liegt der Schwerpunkt auf Deutschland,
weil dort alle Unternehmensbereiche vertreten
sind und sich so wertvolle Erfahrungen sammeln
lassen. Aber mit Salto, der geplanten gemeinsamen
Video-on-Demand-Plattform privater und
öffentlich-rechtlicher Fernsehsender unter federführender
Beteiligung der Groupe M6, und mit
der Data- und Media-Allianz Gravity gibt es auch
schon zwei erfolgreiche Bündnisse in Frankreich.
Und RTL Nederland plant den Aufbau eines integrierten
Werbevermarktungsnetzwerks nach dem
Vorbild der deutschen Ad Alliance für den niederländischen
Markt. Die niederländische Ad Alliance
wird Werbung für RTL Nederland, BrandDeli,
Adfactor und Triade Media verkaufen. Sie ist offen
für weitere Partner. Den Aufbau von Inhalteallianzen
prüfen wir zudem für unsere Kernmärkte USA,
Großbritannien und Frankreich.
Auch jenseits der Gründung von Allianzen und
Partnerschaften war 2019 für Bertelsmann ein
ereignisreiches Jahr. Welche Meilensteine gab es?
Kurz vor Jahresende haben wir vereinbart, die restlichen
Anteile an Penguin Random House zu übernehmen.
Als deren alleiniger Eigner werden wir die
größte Buchverlagsgruppe der Welt in den nächsten
Jahren ausbauen – durch organisches Wachstum
und durch Akquisitionen. Das Buchgeschäft ist
Teil der Identität von Bertelsmann, und Penguin
Random House ist bestens für weiteres Wachstum
positioniert. Bereits im Januar 2019 erfolgte der
Vollzug von Majorel. Mit unserem Partner Saham
haben wir ein globales CRM-Unternehmen
geschaffen. Zu den wichtigsten Momenten des
Jahres gehörte zudem die Vorstellung der neuen
Bertelsmann Essentials „Kreativität und Unternehmertum“.
Sie sind Fundament und Treiber unseres
Erfolgs. Sie unterstreichen den Anspruch, Heimat
der Kreativen und Unternehmen der Unternehmer
zu sein. Wie sehr diese Essentials bei Bertelsmann
gelebt werden, hat wiederum die Mitarbeiterbefragung
2019 mit ihren starken Ergebnissen
eindrucksvoll bestätigt.
Ob Ortler oder Große Zinne – Sie haben in Ihrer
zweiten Heimat Südtirol schon einige herausfordernde
Gipfel bestiegen. Ist Bertelsmann mit den
2019 erzielten Rekordergebnissen auch auf dem
Gipfel angelangt?
Wir sind mit unserer Strategie schon weit nach
oben gekommen. Das belegen die Ergebnisse des
Geschäftsjahres 2019, die in diesem Geschäftsbericht
vorgestellt werden. Darauf sind wir stolz.
Aber wir wollen mehr: Wir sind langfristig orientiert
und arbeiten am nachhaltigen Erfolg des Unternehmens
auch in den kommenden Jahren. Wir
sind noch nicht am Ziel. Es bleibt ein Marathonlauf.
Ich habe den Weg von Bertelsmann immer damit
verglichen – und weiß als begeisterter Läufer, wovon
ich rede. Das Bild ist auch sonst treffender. Denn
nach einem Gipfel käme der Abstieg. Und der ist
bei Bertelsmann sicher nicht in Sicht.