Building Alliances

Interview mit Thomas Rabe

„Alleine werden wir nicht gewinnen.“
Thomas Rabe,
Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann

Herr Rabe, „Building Alliances“ ist der Leitgedanke dieses Geschäftsberichts; mehr Zusammenarbeit ist eine von acht Prioritäten, die Sie für Bertelsmann gesetzt haben. Warum ist das für Bertelsmann so wichtig?

Weil sich die Welt bei Bertelsmann und um Bertelsmann herum grundlegend verändert. Im Unternehmen trägt heute eine Generation von Führungskräften Verantwortung, für die Teilen und Teamwork wichtiger sind als Ego und Ellenbogen. Und ganz gleich in welchem Geschäft sie arbeiten, sehen sie sich alle mit denselben großen Herausforderungen konfrontiert: der Digitalisierung und dem Wettbewerb mit den US-Techplattformen. Kompetenz und Größe sind zu entscheidenden Faktoren geworden. Das heißt für uns und unsere Geschäfte: Alleine werden wir nicht gewinnen können. Wir müssen interne Grenzen überwinden und zusammenarbeiten, aber auch mit externen Partnern kooperieren. So gewinnen wir an Größe, Relevanz und Kompetenz im globalen Wettbewerb. Und es ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für uns.

An welche Form von Allianzen denken Sie dabei?

Großes Potenzial für stärkere Zusammenarbeit sehe ich in den drei Bereichen Inhalte, Werbevermarktung, -buchung und -technologie sowie neue Technologien und Daten. Ob Partnerschaften, Allianzen oder Beteiligungen – welche Form Kooperation letztlich annimmt, wird von Fall zu Fall zu entscheiden sein. Wir wollen Verbundeffekte nutzen – natürlich unter Wahrung der unternehmerischen Verantwortung der beteiligten Geschäfte.

Gibt es bereits vielversprechende Beispiele für solche Allianzen?

Paradebeispiel ist die 2017 gegründete Ad Alliance von Mediengruppe RTL Deutschland und Gruner + Jahr. Über Jahrzehnte konkurrierten deren Vermarkter um die Werbebudgets ein und derselben Kunden. Heute bilden sie zusammen den größten Werbevermarkter im Lande, dem sich immer mehr Partner, wie zuletzt Springer, anschließen. So erreicht die Ad Alliance fast alle Haushalte in Deutschland. Weitere Beispiele sind die Log-in-Allianz netID, die automatisierte Werbebuchungsplattform d-force zusammen mit ProSiebenSat.1, Bertelsmann Tech & Data und natürlich die Bertelsmann Content Alliance. Für Bertelsmann ist sie ein großer Schritt – und schon im ersten Jahr ungemein erfolgreich.
„Wir werden bestehende Allianzen festigen und ausbauen.“

Was macht die Bertelsmann Content Alliance für Sie so bedeutend?

Vor ihrer Gründung im Februar 2019 haben Inhalteunternehmen von Bertelsmann eher ad hoc kooperiert. Jetzt bündelt die Bertelsmann Content Alliance die Zusammenarbeit aller deutschen Inhaltegeschäfte des Konzerns. Sie entwickelt, wo sinnvoll, Inhalte, Marken und Geschäfte gemeinsam weiter und setzt eigene Themen. Sie unterbreitet Künstlerinnen und Künstlern sowie Kreativen ein einzigartiges Angebot, in das Bertelsmann Jahr für Jahr allein in Deutschland 2 Mrd. Euro investiert. Wenn sich, wie in der Bertelsmann Content Alliance, die Mediengruppe RTL, RTL Radio Deutschland, die UFA, die Verlagsgruppe Random House, Gruner + Jahr und BMG zusammentun, dann ist klar: Das ist einzigartig in Deutschland. Das merken wir schon an den ersten erfolgreichen Projekten der Allianz wie Audio Now oder Arctic Drift, deren Geschichten wir in diesem Geschäftsbericht erzählen.

Warum fordern Sie mehr Zusammenarbeit im Bereich Daten und Technologie?

Weil Bertelsmann zum technologisch führenden Medien-, Dienstleistungs- und Bildungsunternehmen werden will. Durch die Anwendung neuer Technologien werden wir bestehende Geschäfte weiterentwickeln und neue aufbauen. Bertelsmann muss alle Kräfte, Kompetenzen und Ressourcen bündeln und hat eine Tech Agenda formuliert, die sich auf drei technologische Schlüsselbereiche fokussiert: Cloud, Data und Künstliche Intelligenz. Verankerung und Umsetzung der Tech Agenda liegen in den Händen des neu gegründeten Bertelsmann Technology and Data Advisory Board. Es fördert konzernübergreifend Transparenz, Kooperation und Austausch sowie die Bündelung von technologischem Know-how, Plattformen und Ressourcen.

Bei Daten und Technologien kommt es stark auf Kompetenzen an.
Wie wollen Sie die sicherstellen?

Zum einen vergeben wir im Rahmen des Udacity Technology Scholarship Program 50.000 Stipendien, um Menschen in die Lage zu versetzen, in der digitalen Welt erfolgreich zu sein – allen voran unsere eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zum anderen werben wir mit der Bertelsmann Digitalkampagne für mehr Begeisterung angesichts der Digitalisierung mit ihren spannenden Veränderungen, großen Chancen und neuen Möglichkeiten. Die Resonanz auf Kampagne und Stipendienprogramm ist gewaltig. Während die Digitalkampagne im Herbst medial über 30 Millionen Menschen erreicht hat, haben sich auf die ersten 15.000 Stipendien mehr als 45.000 Interessierte aus 180 Ländern der Erde beworben.

Wie soll es in Sachen Allianzen und Partnerschaften weitergehen?

Wir werden bestehende Allianzen festigen und ausbauen, indem wir neue, auch externe Partner hinzugewinnen und die Zahl der Projekte ausweiten. Noch liegt der Schwerpunkt auf Deutschland, weil dort alle Unternehmensbereiche vertreten sind und sich so wertvolle Erfahrungen sammeln lassen. Aber mit Salto, der geplanten gemeinsamen Video-on-Demand-Plattform privater und öffentlich-rechtlicher Fernsehsender unter federführender Beteiligung der Groupe M6, und mit der Data- und Media-Allianz Gravity gibt es auch schon zwei erfolgreiche Bündnisse in Frankreich. Und RTL Nederland plant den Aufbau eines integrierten Werbevermarktungsnetzwerks nach dem Vorbild der deutschen Ad Alliance für den niederländischen Markt. Die niederländische Ad Alliance wird Werbung für RTL Nederland, BrandDeli, Adfactor und Triade Media verkaufen. Sie ist offen für weitere Partner. Den Aufbau von Inhalteallianzen prüfen wir zudem für unsere Kernmärkte USA, Großbritannien und Frankreich.

Auch jenseits der Gründung von Allianzen und Partnerschaften war 2019 für Bertelsmann ein ereignisreiches Jahr. Welche Meilensteine gab es?

Kurz vor Jahresende haben wir vereinbart, die restlichen Anteile an Penguin Random House zu übernehmen. Als deren alleiniger Eigner werden wir die größte Buchverlagsgruppe der Welt in den nächsten Jahren ausbauen – durch organisches Wachstum und durch Akquisitionen. Das Buchgeschäft ist Teil der Identität von Bertelsmann, und Penguin Random House ist bestens für weiteres Wachstum positioniert. Bereits im Januar 2019 erfolgte der Vollzug von Majorel. Mit unserem Partner Saham haben wir ein globales CRM-Unternehmen geschaffen. Zu den wichtigsten Momenten des Jahres gehörte zudem die Vorstellung der neuen Bertelsmann Essentials „Kreativität und Unternehmertum“. Sie sind Fundament und Treiber unseres Erfolgs. Sie unterstreichen den Anspruch, Heimat der Kreativen und Unternehmen der Unternehmer zu sein. Wie sehr diese Essentials bei Bertelsmann gelebt werden, hat wiederum die Mitarbeiterbefragung 2019 mit ihren starken Ergebnissen eindrucksvoll bestätigt.

Ob Ortler oder Große Zinne – Sie haben in Ihrer zweiten Heimat Südtirol schon einige herausfordernde Gipfel bestiegen. Ist Bertelsmann mit den 2019 erzielten Rekordergebnissen auch auf dem Gipfel angelangt?

Wir sind mit unserer Strategie schon weit nach oben gekommen. Das belegen die Ergebnisse des Geschäftsjahres 2019, die in diesem Geschäftsbericht vorgestellt werden. Darauf sind wir stolz. Aber wir wollen mehr: Wir sind langfristig orientiert und arbeiten am nachhaltigen Erfolg des Unternehmens auch in den kommenden Jahren. Wir sind noch nicht am Ziel. Es bleibt ein Marathonlauf. Ich habe den Weg von Bertelsmann immer damit verglichen – und weiß als begeisterter Läufer, wovon ich rede. Das Bild ist auch sonst treffender. Denn nach einem Gipfel käme der Abstieg. Und der ist bei Bertelsmann sicher nicht in Sicht.
„Wir müssen über interne Grenzen hinweg zusammenarbeiten, aber auch mit externen Partnern kooperieren. Wir müssen offen sein für Zusammenarbeit und Partnerschaften, wo immer es sinnvoll ist. In den Bereichen Inhalte, Werbung, Daten, Technologie und Management-Ressourcen gibt es entsprechende Vorbilder.“
Thomas Rabe auf dem Management Meeting 2019